Neulich war…nee, noch mal von vorne: Letztes Jahr war in München keine Lesung. Aber ausnahmsweise schreibe ich jetzt mal im üblichen Jahresabstand über eine Einladung als Festredner. Denn am 03. Dezember 2016 hatte ich die Ehre, beim Herrenabend des Corps Cisaria in München die Festrede halten zu dürfen. Oder nennt man das an so einem Herrenabend gar nicht Festrede sondern eher Bespaßungsprogramm oder Verdauungshintegrundgeräusche? Aber vor allem letzteres klingt irgendwie irreführend…

Jingle Bells!
Wie man auf den Fotos deutlich erkennen kann, war auch letztes Jahr schon im Dezember Adventszeit. Das ist nicht weiter verwunderlich und wurde wie jedes Jahr höchste Zeit, weil die seit August im Handel erhältlichen Weihnachtssüßigkeiten sich schon ihren Haltbarkeitsdaten näherten und außerdem langsam Platz für die Osterhasen 2017 in den Regalen benötigt wurde. Aber das interessiert 200 Meter von der Maximilianstraße entfernt sowieso niemand. Denn dort geht es nicht um Schokoladenfigürchen für einen Appel und ein Ei, sondern darum den japanischen, chinesische und russischen Shopping-Touristen Kleider für den Preis eines Kleinwagens und Uhren für den Preis eines Einfamilienhauses im Hunsrück zu verkaufen. Süßer die Glocken nie klingen…
Zwischen Rolex und Cartier wohnen die Cisaren zwar nicht, aber dafür schräg gegenüber vom Hofbräuhaus. Dadurch kann man seine Wohnlage immerhin in mindestens vierzig Ländern dieser Welt präzise beschreiben, ohne eine Adresse anzugeben. Und es gibt immer Bier, auch wenn es gerade mal kein Bier gibt, obwohl es natürlich immer Bier gibt, weil das ein Naturgesetz ist wie etwa die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die Tatsache, dass in der Kassenschlange, die man sich aussucht, vorne der ältere Herr mit seiner Münzsammlung von 1929 bezahlen möchte.

Corps Cisaria in Sprungweite des Hofbräuhauses
Das hat bis hierhin allerdings verdammt wenig mit dem Corps Cisaria oder dem Verlauf des Abends zu tun – oder vielleicht sogar doch ein bisschen. Denn so ein paar Klischees, wie das von den Nationalitäten der Cartier-einkaufenden Touristen oder das vom älteren Herrn mit Vorkriegszahlungsmitteln, haben wir schon abgehandelt. Und so ein Klischee ist ja doch ein arg naher Verwandter des Vorurteils. Darum ging es dann nämlich in der Rede zum Herrenabend – Toleranz und Vorurteil. Das ist eine Rede, die völlig ohne die Begriffe „Flüchtling“, „AfD“ und „Pegida“ auskommt, und es ist eine Rede, die ich zugegebenermaßen nicht zum ersten Mal gehalten habe. Das liegt daran, dass es mir weiß Gott nicht jeden Tag gelingt, etwas zu schreiben, was gleichermaßen für einen Festkommers wie für einen Herrenabend taugt, weil es ein bisschen unterhaltsam aber auch ein bisschen ernsthaft ist. Ich glaube, dieser Text würde sogar mit ein paar kleinen Änderungen bei einem Parteitag der Grünen recht gut funktionieren, und niemand käme darauf, dass er eigentlich für ein Publikum von vermeintlichen Verteidigern des Patriarchats geschrieben wurde. Aber sowas gelingt mir leider – wie gesagt – nicht jeden Tag. Außerdem habe ich überhaupt nicht vor, jemals bei einem Parteitag der Grünen zu sprechen – und übrigens auch bei sonst keinem Parteitag.
Wie zu erwaten war, schweift das alles hier wieder mal ganz furchtbar ab. Deswegen sage ich nur noch: das Essen war lecker, der Abend war schön, die Cisaren hervorragende Gastgeber und zum Oktoberfest bin ich trotzdem dieses Jahr nicht wiedergekommen. Gegen das habe ich nämlich ein (Vor)urteil. Und jetzt Weihnachtsbilder angucken und Jingle Bells!

Oh, Tantenbaum!